Die Trophäenjagd in verschiedenen Ländern beschert uns Abenteuer und verhilft zur besseren Kenntnis der uns umgebenden Welt. In der Regel findet solch eine Reise in Begleitung professioneller Jäger statt, deren wichtigste Aufgabe darin besteht, uns in kürzester Zeit zur Verwirklichung unserer Träume zu verhelfen. Wie oft hat man schon Gelegenheit an einer Jagd teilzunehmen, von deren Erfolg das Überleben der einheimischen Bevölkerung abhängt! Dabei bleibt für eine überaus gepflegte Konversation mit dem Kunden keine Zeit, das Adrenalin schäumt über und die Grenze zwischen dem unschuldigen Urlaubsabenteuer und der ungeschminkten Lebensrealität wird extrem dünn.
Im Nordosten Russlands am Beringmeer lebt in einzelnen zerstreuten Dörfern eine nicht besonders zahlreiche Tschuktschengemeinschaft, die bis heute die eigene Tradition der ursprünglichen Jagd im Meer erhalten hat, die es den Menschen möglich gemacht hat, sich in der Region mit den schwierigen klimatischen Bedingungen niederzulassen, und so die Zivilisation der nördlichen Küstenlandschaften geschaffen hat. Das Wohl des Volkes beruht größtenteils auf Fähigkeiten der Jäger und dem gesellschaftlichen Respekt ihnen gegenüber.
Die strenge Kontrolle zur sowjetischen Zeit, als durch die obligatorischen Genehmigungen die Zahl der Reisenden in den hohen Norden Russlands sehr begrenzt war, hat zum Erhalt der traditionellen Lebensweise der Tschuktschen beigetragen. Die schwer erreichbare Region blieb vom Massentourismus verschont, der sehr oft die einheimische Bevölkerung dazu verleitet, auf Kosten der eigenen Werte die Wünsche der Gäste zu erfüllen.
Ich habe diese Region öfters mit verschiedenen Jagdexpeditionen bereist und würde gerne den Prozess von der anderen, uns nicht gewohnten Seite betrachten: Die wahren Werte bilden die zwischenmenschlichen Beziehungen der nordischen Gesellschaft und die Möglichkeit, die natürliche Jagd auf Meerestiere zu beobachten, die von großer Bedeutung für das Überleben der dortigen Tschuktschen ist.
Einer der wichtigsten Faktoren für die Entstehung der nordischen Küstenzivilisation war die Erfindung der „sich drehenden“ Harpune. Ein vom ersten Blick einfaches, primitives Details hat vor etwa 4 000 Jahren die Bedingungen geschaffen, für die aus Jakutien und Südostasien eingewanderten Tschautschen (so nannten sich Tschuktschen) im harten arktischen Klima zu überleben. Die Harpune war nicht dafür bestimmt, das Tier zu töten, sondern ihre Spitze durchbohrte die dicke Haut und blieb dort stecken. Der mit dem Seil daran befestigte Schwimmer zeigte dem Jäger, wo das auftauchende Tier zu erwarten ist, um es dort mit dem Speer zu erlegen. Der Schwimmkörper ließ ebenfalls nicht zu, dass das erlegte Tier unterging. Im Sommer erlegten die Tschuktschen mit Hilfe der Harpune mehr und größere Seetiere, so dass das Fleisch bis zum nächsten Frühling reichte. Wegen des ewigen Eises war die Fleischkonservierung sehr einfach: Es wurde in ein nicht sehr tiefes Loch in der Erde gelegt oder in ein Fell eingewickelt und mit der Grasnarbe zugedeckt. Es ist interessant, dass bis heute, nach vielen Jahrhunderten, ungeachtet des Fortschritts der Menschheit, die „sich drehende“ Harpune und Zubereitungsweise des Fleisches unverändert geblieben sind und wie einst zur Lebensfähigkeit des vom Aussterben bedrohten Volkes beitragen. Nur anstatt der Blase einer Robbe wird heutzutage ein Schwimmkörper aus Plastik und anstatt des Speers wird ein Gewehr verwendet.
Akani ist ein Horn an der Mechigmen-Bucht. Ihr Weg nach Norden führt Walrosse an diesen Küsten entlang. Seit alten Zeiten schätzen Jäger diese Gegend. Der in der Nähe fließende Bach spendet Trinkwasser. Als Toilette wird die Meeresküste genutzt – die Wellen spülen sowieso alles weg. Ringsherum schleichen Bären auf der Suche nach Jagdresten. Sie lieben ebenfalls diese Gegend. Heute ist Akani lediglich der Stützpunkt für die sommerliche und herbstliche Jagd auf Walrosse. Seine letzten ständigen Bewohner sind 1969 nach Lorino umgesiedelt worden. Vyacheslav Elli erinnert sich an diese Zeit. Elli bedeutet in der Sprache der Tschuktschen „kleine Scheiße“. Wir würden wahrscheinlich solch einen Namen verspotten, auf der Halbinsel Tschukotka ist das jedoch nicht ungewöhnlich und selbstverständlich auch nicht lächerlich. Es gibt noch interessantere Namen, zum Beispiel, Rentil – der weggeworfene Penis, oder Eliapendrin – der auf die kleine Scheiße Stürzende.
Elli ist der älteste unter allen Jägern. Er ist der „Ehrenbürgermeister“ von Akani. Er fährt nicht mehr zur See hinaus, wacht aber an der Küste und hält aufmerksam Ausschau nach Walrossen, besonders nachts, wenn die jüngeren Jäger schlafen.
Sobald die ersten Walrosse gesichtet werden, ist die Aufregung grenzenlos. Der Beobachter schreit laut: „Morži, morži“. In einigen Sekunden stürmen die verschlafenen Jäger aus allen Ecken herbei. Man muss gesehen haben, wie sie beim Laufen die Hosen anziehen oder versuchen, ihre Schuhe an die Füße zu bekommen, schweigend und im Laufschritt, um möglichst schnell das Boot des eigenen Teams zu erreichen und – um Gotteswillen – nicht zu spät zu kommen, denn es wird auf niemanden gewartet und es ist eine große Schande, zu spät zu kommen. An der Jagd beteiligen sich in der Regel mehrere Teams in einzelnen Booten. Ihr Lohn hängt von der Zahl der erlegten Tiere ab. Der Lohn stellt jedoch nicht den größten Ansporn dar. Die höchste Motivation ist die Ehre, die den besten Walrossjägern gebührt. Die Tschuktschen sind von ihrer Natur her Kämpfer und dies ist gar nicht verwunderlich, denn nur dieser Eigenschaft verdanken sie ihr Überleben unter den harten Bedingungen. Früher war es bei ihnen sogar verboten, einem Ertrinkenden zu helfen, denn er sei bereits im Reich von keli (dem bösen Geist) und man dürfe sich nicht einmischen. Außerdem, während man sich mit der Rettung des Ertrinkenden beschäftigt, könnte man die Beute verpassen, und dann geriete das Überleben der ganzen Gemeinschaft in Gefahr.
Die migrierenden Tiere bleiben in der Nähe von Alkani nicht lange. In einigen oder mehreren Minuten sind sie verschwunden, deshalb ist solche Eile und Verantwortung beim Jagen geboten. Sobald die Jäger die zwischen den Wellen zum Atmen auftauchenden Walrosse erspähen, treiben sie ihre Motorboote mit voller Geschwindigkeit voran. Wer als erster die Tiere erreicht, hat die größten Chancen eines mit der Harpune zu treffen und sich die Beute zu sichern. (Es muss allerdings angemerkt werden, dass die Beute unter allen Gemeinschaftsmitgliedern gerecht geteilt wird). Die Tschuktschen werden wild: Wie viele Boote – so viele Konkurrenten. Jedes Team kämpft für Geld und Ehre. Auf dieser Jagd kennt man kein „pardon“: Jeder kämpft für sich. In den Augen brennt das Feuer erbitterter Kämpfer – ein großes Feuer. Es scheint nicht viel zu fehlen, dass die Harpune statt der Brust des Walrosses die des Gegners trifft. Der Kampf dauert, solange mindestens ein Walross in der Nähe schwimmt. Sobald aber die Beziehungen geklärt und alle Walrosse erlegt sind, verschwindet die Gegnerschaft als hätte es sie nie gegeben. Alle lachen fröhlich und äffen einander nach. Ja, langweilig sind sie nicht.
Die Kinder werden von Kindesbeinen an an das schwere Leben der Meeresjäger gewöhnt, und gehen gerne in alltäglichen Arbeiten den Erwachsenen zur Hand. Seit Alters her wird in den mit dem Fell eines Walrosses bezogenen Booten (etvet) zur See gefahren. Wegen ihrer Leichtigkeit sind diese Boote unverzichtbar bei der winterlichen Jagd auf Robben, wenn man sie braucht, um die durch die Eisbewegung entstandenen offenen Wasserflächen zu passieren.
Im 18. – 19. Jahrhunderten ist durch die unkontrollierte Jagd der europäischen und amerikanischen Industriellen die Zahl der Wale, die neben den Walrossen und Robben das wichtigste Einkommen der Küstenbewohner bildeten, stark dezimiert worden. Schließlich wurde die Jagd auf diese Tiere verboten. Für Tschuktschen kamen schwere Tage. Die von klein auf an Fleischverzehr gewöhnte Population begann, wie auch die der meisten anderen Küstenbewohner des Arktischen Ozeans, rasch zu schwinden. Deshalb, ungeachtet des strengen Tierschutzes, hat die Internationale Walfangkommission (International Whaling Commission oder IWC) der einheimischen Bevölkerung eine Ausnahmegenehmigung erteilt, jährlich auf traditionelle Weise ca. 100 Wale für den Eigenbedarf zu erlegen, ohne das Recht das Fleisch zu verkaufen. Die Jagd ist am erfolgreichsten während der sommerlichen Migration, wenn das arktische Eis sich für ein paar Monate von der Küste zurückzieht und die an Weichtieren bzw. Plankton reichen Gewässer für die Seetiere zugänglich werden.
Im Unterschied zur Walrossjagd bedarf man einer aneinander abgestimmten, gemeinsamen, eifrigen Anstrengung der Teams, um erfolgreich einen bis zu 30 Tonnen wiegenden Wal zu jagen. Es ist für ihn ein Leichtes mit einem einzigen Schwanzhieb das Boot zum Kentern zu bringen. Die Wale sind keine bösartigen Tiere, aber im Angesicht des Angriffs der bedrohlichen Jäger greifen sie oft ihre Verfolger an. Manchmal ist es schwer festzustellen, wie weit vom Boot oder sogar direkt unter dem Boot das verletzte Tier auftaucht. Natürlich durch die Bezeichnung des gefährlichen Tieres als Raubtier rechtfertigt man sein eigenes Tun, der graue Wal jedoch (die meist verbreitete Art der Wale in dieser Region) ist kein Raubtier, sondern ein sich mit Plankton und Weichtieren ernährendes Säugetier, das aber unentbehrlich für das Fortbestehen eines Volkes ist.
Wenn für ein Walross eine Blase als Schwimmkörper ausreicht, dass es nicht untergeht, so braucht man für einen Wal je nach der Größe 10 -20 Schwimmkörper, d.h. dass man mehrere Stunden hinter dem verletzten Tier herjagen muss, sich stets in Acht nehmend, nicht unter seinen Schwanz zu geraten. Andererseits kann man die Beute erst im Abstand von einigen Metern mit Sicherheit treffen. Und glauben Sie mir, wenn der Gestank des neben dir aufgetauchten Wals dir in die Nase dringt, Wasserschwall vom Schwanz, größer als dein Boot, dich durchnässt, füllst du dich nicht sehr wichtig. Man vergisst sowohl die Müdigkeit, als auch die Wellen im Beringmeer, auch die Tatsache, dass es mittleerweile Nacht geworden ist und die Küsten außer Sicht sind und dass du in einem kaum ein paar Meter langen Boot sitzt.
Ich kann nur hinzufügen, dass wenn die Wale, die größten Säugetiere der Welt, Schutz wie die Naturdenkmäler verdienen, dann verdienen die Tschuktschen, die sie in kleinen Booten durch das Beringmeer jagen und sie mit Harpunen erlegen, den höchsten Respekt, weil sie die Tradition der Meeresjagd bewahrt haben, in der sich Jagdfieber und unbezwingbarer Mut vereinen.